Zurück zur Startseite

Nachdenklich bis ernste Gedichte | Martina Müller
 
Mein Tagebuch


Ins Tagebuch, da schreibe ich Gedanken kreuz und quer,
da schreib ich nur wie’s grade kommt und denke hinterher;
das fließt mir aus der Feder und quillt aus meinem Geist,
nutzt Worte nur als Hülle, intuitiv und dreist.
Da formt sich stets ein Rätsel, was daraus wohl der Sinn,
denn wenn ich losmarschiere, weiß ich noch nicht wohin.

Mein Tagebuch das hat Geduld, ist ja nur aus Papier,
schluckt jedes Quäntchen runter und beschwert sich nicht bei mir;
erhebt nie seine Stimme und schreit erschrocken auf,
wird gar zu kraus mal kombiniert, wenn ich nicht gut drauf.
Das wird doch noch geordnet, muss nicht zusammen, nein,
das steht nur nacheinander, das fiel mir nur so ein.

Doch Reihenfolgefehler sind niemals bloßer Tand;
erschließen neue Quellen, verwirren den Verstand.
Soll der sich doch auch plagen, wozu etwas gehört,
woher, wohin und wofür, wenn ihn da etwas stört.
Das Auge amüsiert sich dann beim bloßen Überflug
und ordnet sich Signale ein wahrscheinlich früh genug.

Das Kreuz und Quer ist Ungemach, ist oft nur wahr, nicht nett,
das ist ein Durcheinander, wie ein zerwühltes Bett,
aus dem man früh gekrochen und das noch nicht gemacht.
Darüber hat doch jemals noch niemand schlecht gedacht.
Der Müll wird noch geglättet, geordnet und gewetzt,
dass nach dem Recht-Sortieren nichts mich mehr entsetzt.

Aus rätselhaftem Berge, aus seitenweis Geschrieb,
da zieh ich manche Lehre und seh, wohin ich trieb.
Gerade weil der Bogen von Hü nach Hott gespannt
und weil das ganze Schreiben erledigt nur die Hand,
ist danach beim Erkennen ganz klar, was mich bewegt,
was ich als Durcheinander gedanklich abgelegt.

Mein Tagebuch, mein Rätsel, mein täglich Rösselsprung,
was ich dereinst begonnen hab, als ich noch sehr jung,
ist mir längst mehr als nützlich, ist Seelenstriptease live
enthüllt mir die Gedanken, bevor ich mich vergreif
in Ton und Text und Gestik, in Sinn und in Gebraus.
Ich hab mich beieinander, die Seele ist zu Haus.

Text: © by Martina Müller
 

 
 © Martina Müller / 2009